von Walter Baier (KPÖ, Transform Europe)

Die Pandemie und der islamistisch motivierte Amoklauf in der Wiener Innenstadt haben in all ihrer Tragik etwas Heilsames: Sie konfrontieren uns mit der Realität einer gefährlich gewordenen Welt und der Verwundbarkeit unseres eigenen Lebensstils. Dabei kommt nicht immer Gutes zum Vorschein. Wie auch anders, in einem jahrzehntelang kultivierten Klima des Antisozialismus, in dem sich der in der saturierten Mittelschicht vorherrschende Wohlstandschauvinismus gegen das Elend im eigenen Land und in der Welt blind und taub stellt. Dank Facebook und Co. können wir diesmal in Echtzeit beobachten, wie die herrschenden Erzählungen von Dilettanten und Scharlatanen herausgefordert werden und sich so das Gift des Irrationalismus ausbreitet, wie es in allen Krisenzeiten üblich war.

Erfolg durch Selbstveränderung
Linke Politikwissenschafter_innen beklagen hier das »Fehlen einer alternativen Erzählung«. Aber erzählt wurde in den vergangenen Jahrzehnten genug, darin haben es die Linken recht weit gebracht. Bescheidener fallen ihre Erfolge bei einer verändernden, progressiven Praxis aus, zumindest hierzulande. Die Gründung von Links und die trotz erheblicher Schwierigkeit bei der Verständigung geglückte Zusammenarbeit mit der KPÖ ist ein Stück erfolgreicher Praxis – zumindest auf dem Weg einer Selbstveränderung. Das ist nicht nichts und wurde auch mit Stimmen- und Mandatsgewinnen belohnt. Die neu und die neuerlich gewählten Bezirksmandatar_innen versprechen eine ehrliche und ausdauernde Vertretungspolitik in den Gremien. Dafür haben die kommunistischen Bezirksrät_innen in den vergangenen Perioden gute Beispiele gegeben. Dies mit den Mandatar_ innen von Links gemeinsam auf eine breitere Grundlage zu stellen, wird Arbeit und Umsicht erfordern. Der Wahlerfolg von Links und Links-KPÖ hat auch eine allgemeinpolitische Ursache. Er zeigt, dass der Wunsch nach einer politischen Kraft, links von Sozialdemokratie und Grünen größer ist, als gemeinhin angenommen wurde. Auch größer, als dass die KPÖ in Anspruch nehmen könnte, ihn allein zu repräsentieren. Wann sollte außerdem ein solcher Wunsch entstehen, wenn nicht in einer Krise, die bisherige Sicherheiten und Gewissheiten auf die Probe stellt. 600.000 Menschen werden bei uns im Winter als Arbeitslose statistisch erfasst sein. Wer aber redet über die »Ein-Personen-Unternehmer_innen«, die um ihren Erwerb gebrachten Künstler_innen, die Alleinerzieherinnen, die nicht dokumentierten migrantischen Arbeiter_innen, die sich im kapitalistischen »Normalbetrieb« auf dem Arbeitsstrich verdingen müssen, die Sexarbeiter_innen, die Jugendlichen mit geringer Qualifikation, die in den Heimen verrottenden Alten, die Geflüchteten in den Lagern und an den Grenzen? Wer redet von der Angst, dem Elend, der drohenden oder tatsächlichen Wohnungslosigkeit und der häuslichen Gewalt, die der weihnachtliche Konsumrausch vernebelt?

Fragen an der Grenze des Systems
Wenn wir in den kommenden Monaten aus dem Auf und Zu des Lock-Downs herauskommen sollten, werden wir uns mitten in einer weltweiten Wirtschaftskrise befinden. Die Wirtschaftswissenschafter_innen versprechen uns, dass jede Krise irgendwann in einen Aufschwung mündet. Sie wissen aber zu gut, dass der kommende Aufschwung aufgrund der Digitalisierung mehr Arbeitsplätze abschaffen als schaffen wird. Die Zurückgelassenen werden durch die Armutsverwaltung unsichtbar gemacht, und schon heute werden die Ausgangspositionen für den großen Kampf darum bezogen, wer die Kosten dafür zu tragen hat. Überdies, der klassische Weg, den die Wirtschaftswissenschaft bislang aus der Krise weist, quantitatives Wachstum durch Ankurbelung von Konsum und Produktion zu stimulieren, wäre ein weiterer Schritt in die Selbstzerstörung und würde uns nur umso schneller gegen die ökologischen Grenzen unserer Produktionsweise stoßen. So besteht selbst die nächste Zukunft aus Fragen, auf die keine Antworten gefunden werden können, sofern man nicht die Entschlossenheit besitzt, Grenzen der kapitalistischen Macht- und Eigentumsverhältnisse zu überschreiten. Auch das, nämlich der Sozialismus ist keine Frage des Erzählens, worin, wie gesagt, die Linke immer gut war, sondern des Machens, oder bescheidener ausgedrückt: des Machens solide begründeter Vorschläge, die erkennen lassen, wie der Weg zu einer vernünftigen, gerechten, demokratischen, ökologischen und feministischen Gesellschaft geöffnet werden kann. Die Kommunist_innen sind davon überzeugt, dass dies politische Mittel erfordert, das heißt, eine politische Partei. Links hat sich vermutlich aus ähnlichen Überlegungen als eine politische Partei konstituiert. Der Wille, die besten Formen einer solidarischen Zusammenarbeit zu finden, scheint, beiderseits, zu bestehen. Vielleicht kann auf diesem Weg die österreichische Absonderlichkeit überwunden werden, dass es keine öko-sozialistische, politische Linke gibt, wie sie in beinahe allen Staaten der EU besteht, parlamentarisch vertreten und sich erfolgreich entwickelnd. Dermal brauchen wir nicht den Mut zur Lücke, sondern denjenigen, sie zu schließen.

Erstveröffentlicht in der Volksstimme, Nr. 12/2020.

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