Oder: warum das Grundeinkommen keinesfalls einen „unproduktiven“ Sektor alimentieren würde.

von Karl Reitter.

Ein tatsächliches Grundeinkommen muss bedingungslos, existenzsichernd, individuell und personenbezogen ausbezahlt werden. Das heißt im Klartext, alle bekommen es, egal ob eine Person eine Erwerbsarbeit ausübt oder nicht. Dieser Umstand verleitet so mache Kritikerin zum Fehlschluss, letztlich würden damit die „Unproduktiven“, die keiner geregelten Lohnarbeit nachgehen, von den Erwerbsarbeitenden finanziert. Was ist von dieser Kritik zu halten? Vorweg die Antwort: Insofern wir uns die gesellschaftlichen Verhältnisse, insbesondere aus einer Marxschen Perspektive, vergegenwärtigen erweist sich dieser Einwand als völlig haltlos.

Das Kapital ist von der Gesellschaft abhängig und beruht auf Gegebenheiten, die es nicht (re)produzieren kann

Die Abhängigkeit des Kapitals von der Gesellschaft erweist sich als dramatisch, wenn wir die tatsächlich verausgaben Arbeitszeiten betrachten. Jeder im Erwerbssektor geleisteten Arbeitsstunde stehen je nach Berechnung bis zu zwei unbezahlte Arbeitsstunden gegenüber.1 Das zeigen nicht nur zahlreiche Untersuchungen, das sagt uns auch unsere Alltagserfahrung – wenn wir auf sie hören. „Indem ‚Arbeit’ die entscheidende Kategorie von Gesellschaftlichkeit und damit von Herrschaft bleibt, ist als Widerspruch die Einsicht relevant, dass Lohnarbeit durchaus nicht die einzige Arbeitsform in einer kapitalistischen Formation ist, dass vielmehr Reproduktionsarbeit (Hausarbeit) einen wahrscheinlich größeren Teil der gesellschaftlichen Arbeit ausmacht. Dazu kommen noch Formen der freiwilligen Arbeit, denen die Existenz von sozialer Infrastruktur (von der freiwilligen Feuerwehr bis zur politischen Arbeit) einiges verdankt.“ (Steinert 2007; 216) Diese Arbeit, oftmals nicht als solche anerkannt, muss geleistet werden. Würde sie eingestellt, dann würde die Gesellschaft nicht nur kulturell, politisch, wissenschaftlich und künstlerisch verarmen, sie würde schlichtweg zusammenbrechen! Das Kapital kann nicht nur keinen einzigen Apfel wachsen lassen, es kann vor allem keine Menschen gebären, aufziehen, bilden und sozialisieren. Die „Produktion gesellschaftlicher Individuen“ (MEW 42; 20) ist ohne allgemeine zivilisatorische Verhältnisse undenkbar. Ohne Natur und Gesellschaft kann es kein Kapital geben, es ist völlig von diesen, außer ihm liegenden Faktoren abhängig. Umgekehrt gilt das jedoch nicht, weder Natur noch die menschliche Zivilisation benötigen das Kapital. Arbeit jenseits der Erwerbsarbeit kann also nicht eingestellt werden, sie soll aber auch nicht eingestellt werden. Gäbe es nur Arbeit, die verkaufbare Waren erzeugt, gäbe es zahllose Gebrauchswerte nicht. Nehmen wir Musik als Beispiel: Der überwiegende Teil von Musik lässt sich kaum oder nur sehr eingeschränkt am Markt verkaufen. Ohne dieses unentlohnte Musizieren gäbe vielleicht nur noch den Hansi Hinterseer und die Salzburger Festspiele, wenn ich das mit etwas Ironie anmerken darf. Der „nur konsumierende Teil“ der Gesellschaft entpuppt sich also als äußert produktiv; produktiv in jeglicher Hinsicht.

Das Kapital akkumuliert auf Kosten von Mensch und Natur

Die fordistische Nachkriegsordnung erzeugte die Illusion, zwischen dem „produktiven“, kapitalistischen Teil der Gesellschaft, insbesondere dem Industriesystem, und dem „nur konsumierenden“ Teil gäbe es eine klare und eindeutige Grenze. Die neoliberalen Verhältnisse machen jedoch deutlich, wie sehr sich diese Bereiche überlappen und überschneiden. Viele Arbeitsvorgänge können eindeutig weder dem einen noch dem anderen Bereich zugeordnet werden. So manche Arbeit wird in der Hoffnung geleistet, irgendwann später in Erwerbsarbeit übergeführt zu werden. Umgekehrt leisten Erwerbsarbeitende zusätzliche unentlohnte Arbeitsstunden, um ihre Einkünfte und ihren Arbeitsplatz zu sichern. Indem der Neoliberalismus die Organisation der Arbeitsprozesse teilweise den Arbeitenden selbst anlastet (was auch, aber nicht nur, emanzipatorische Aspekte hat) tritt zum eigentlichen Arbeitsprozess der Zwang hinzu, durch zusätzliche Tätigkeit Arbeitsprozesse zu ermöglichen. Diese Arbeit, die Arbeit organisiert, findet oftmals in jenem Bereich statt, der früher Freizeit hieß. Arbeit jenseits des Kapitalverhältnisses wird permanent in dieses eingespeist und provoziert dadurch Widerstand. Nicht zufällig sind in den letzten Jahren und Jahrzehnten linke Debatten um die Rolle der Hausarbeit, die Aspekte der Naturzerstörung durch kapitalistische Produktion und um den Kampf um Gemeingüter entstanden. Natur wird dem kapitalistischen Verwertungsprozess unterworfen und (zumeist) dadurch zerstört. Gemeingüter wie Wissen oder Naturschätze sollen zu Waren gemacht werden. Wer davon spricht, jenseits der „Wirtschaft“ gäbe es nur Konsum ist nicht mehr in der Lage, die permanente Subsumtion von Tätigkeiten und Gebrauchswerten unter das Kapitalverhältnis zu erkennen. Dass das Kapital auf Voraussetzungen und Bedingungen beruht, die es weder selbst schaffen, geschweige denn reproduzieren kann, wird nicht erkannt. Das Kapital (re)produziert keineswegs die Gesellschaft, sondern die Gesellschaft ermöglicht dem Kapital Akkumulation und Reproduktion. Der Zweck der Produktion, die Vermehrung des Profits, mündet in einen destruktiven und zerstörerischen Umgang mit dem Mensch und der Natur. Marx hat diesen Zusammenhang trefflich in einem Satz ausgesprochen: „Die kapitalistische Produktion entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter.“ (MEW 23; 529f) Unsere vorgeblich so orthodoxen KritikerInnen des BGE lesen nur den ersten Teil dieser Marxschen Aussage, den zweiten ignorieren sie geflissentlich. Wir sehen also: Anstatt einer sauberen und friedlichen Trennung zwischen dem angeblich produktiven Sektor, vulgo Kapitalismus, und dem „nur konsumierenden Sektor“ finden wir ein antagonistische, widersprüchliches Verhältnis zwischen dem Kapital und den ökologischen, zivilisatorischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten.

Die gesellschaftlichen Quellen der Produktivkraft der Arbeit …

Manche KritikerInnen des BGE räumen ein, dass auch jenseits von Erwerbsarbeit produziert wird.2 Manche geben weiters zu, dass das Kapital parasitär auf Gesellschaft und Natur aufsitzt und diese ihm fremde Faktoren als Basis für seine Produktion benützen muss. Aber stimuliert das Kapital nicht auch die Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit? Zweifellos. Das sei seine historische Mission, so Marx3. Er knüpfte daran die Hoffnung, die gestiegene Produktivkraft würde es erlauben die notwendige Arbeitszeit massiv zu reduzieren und so das „Reich der Freiheit“ (MEW 25; 828) erblühen zu lassen. Doch im Gegensatz zu so manchen KritikerInnen des BGE erkannte Marx sehr klar, dass die Entfaltung der Produktivkräfte auf einem widersprüchlichen Wechselverhältnis zwischen Kapital einerseits und Gesellschaft und Natur andererseits beruht. Werfen wir einen Blick auf jene Faktoren, die Marx als relevant für die Produktivkraft der Arbeit anführt: „Die Produktivkraft der Arbeit ist durch mannigfache Umstände bestimmt, unter anderen durch den Durchschnittsgrad des Geschickes der Arbeiter, die Entwicklungsstufe der Wissenschaft und ihrer technologischen Anwendbarkeit, die gesellschaftliche Kombination des Produktionsprozesses, den Umfang und die Wirkungsfähigkeit der Produktionsmittel, und durch Naturverhältnisse.“ (MEW 23; 54) Wenn wir uns diese Faktoren genau ansehen, so können wir schwerlich behaupten, sie seinen ausschließlich in und durch das Kapitalverhältnis entwickelt. In Grunde handelt es sich bei diesen Faktoren um allgemeine Aspekte der menschlichen Zivilisation, die zweifellos durch das Kapital stimuliert werden –– aber nicht mit ihm identisch sind. Denken wir nur an die Erfindung der Schrift oder an das Ergebnis grundlegender naturwissenschaftlicher Forschungen. „Wie mit den Naturkräften verhält es sich mit der Wissenschaft. Einmal entdeckt, kostet das Gesetz über die Abweichung der Magnetnadel im Wirkungskreise eines elektrischen Stroms oder über die Erzeugung von Magnetismus im Eisen, um das ein elektrischer Strom kreist, keinen Deut.“ (MEW 23; 407) Das heißt, diese für die kapitalistische Produktion höchst relevanten Entdeckungen und Entwicklungen zählen einfach zu den zivilisatorischen Errungenschaften, die das Kapital für seine Zwecken nutzt, aber es in der Regel jenseits seiner Grenzen vorfindet. All diese von Marx für die Produktivkraft der Arbeit genannten Aspekte fallen dem Kapital letztlich kostenlos in den Schoß. Elaboriertes Wissen kann gar nicht umfänglich kapitalistisch produziert werden. Selbst die prestigeträchtige Harvard University in den USA kann sich nur zu 19% aus Studiengebühren finanzieren.4 Der Großteil des Budgets kommt von Stiftungen, Schenkungen und staatlichen Zuwendungen. Und dies gilt für Universitäten ohne gigantische Studiengebühren umso mehr. Keine Forschungseinrichtung funktioniert als kapitalistischer Betrieb. Wohl soll Wissen, aus welchen Quellen es auch stammt, zur Ware gemacht werden und mittels Lizenzen und Patente eben nicht der Allgemeinheit zur Verfügung stehen. Aber gerade dieser Prozess der Einhegung zeigt, dass sich das Kapital Faktoren, die es selbst nicht hervorbringen kann, zu unterwerfen sucht. Dies gilt auch für die so genannten Gemeingüter, wie den öffentlichen Raum, Wasservorräte, Naturschätze, letztlich für alle kulturellen und zivilisatorischen Hervorbringungen.

projektieren sich als Kräfte des Kapitals

Das Kapital versucht, sich die ihm fremden Gesellschaftskräfte einzuverleiben, um diese für seine bornierten Profitzwecke zu nutzen. Dass es dabei nicht hegend und pflegend mit diesen Faktoren umgeht, sondern destruktiv und zerstörerisch sowohl gegen Mensch wie gegen Natur, das hat Marx immer wieder klargestellt. Aber es ist noch ein weiteres Faktum zu bedenken. Da es tendenziell das Kapital ist, welches diese Gesellschafskräfte in Bewegung setzt, muss der Schein entstehen, das Kapital selbst sei die Heimstätte aller Produktivität. Ein Illusion, wie Marx klarstellt: „Weil die gesellschaftliche Produktivkraft der Arbeit dem Kapital nichts kostet, weil sie andrerseits nicht von dem Arbeiter entwickelt wird, bevor seine Arbeit selbst dem Kapital gehört, erscheint sie als Produktivkraft, die das Kapital von Natur besitzt, als seine immanente Produktivkraft.“ (MEW 23; 353, Herv. K.R.) Wir sehen erneut: Marx unterscheidet klar die gesellschaftliche Produktivkraft der Arbeit von ihrer Nutzanwendung im Kapitalverhältnis. Was für die Arbeit gilt, gilt ebenso für die Natur, die zweite Quelle der Gerbrauchswerte. Auch Naturverhältnisse wirken auf die Produktivkraft der Arbeit, auch diese Quelle des sachlichen Reichtums erscheint als produktive Qualität des Kapitals: „Wie die geschichtlich entwickelten, gesellschaftlichen, so erscheinen die naturbedingten Produktivkräfte der Arbeit als Produktivkräfte des Kapitals, dem sie einverleibt wird.“ (MEW 23; 538, Herv. K.R.) Wir sehen also: „Alle Kräfte der Arbeit projektieren sich als Kräfte des Kapitals, wie alle Wertformen der Ware als Formen des Geldes.“ (MEW 23; 634) Ich werde den Verdacht nicht los, dass so manche KritikerInnen exakt diesem Schein aufsitzen um auf dieser Basis gegen das Grundeinkommen zu polemisieren.

Zitierte Literatur

MEW = Marx-Engels-Werke, Berlin 1965ff

Engels, Friedrich; Marx, Karl (MEW 4) „Manifest der Kommunistischen Partei“, Seite 459-493

Marx, Karl (MEW 23) „Das Kapital, Band 1“

Marx, Karl (MEW 25) „Das Kapital, Band 3“

Marx, Karl (MEW 42) „Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie“

Steinert, Heinz (2007) „Das Verhängnis der Gesellschaft und das Glück der Erkenntnis, Dialektik der Aufklärung als Forschungsprogramm“, Münster

1 Ich verweise in diesem Zusammenhang auf den Artikel von Käthe Knittler

2 Bloße Konsumtion kann es überdies gar nicht geben, wer konsumiert produziert, wer produziert, konsumiert: „Die Produktion ist Konsumation; die Konsumation ist Produktion.“ (MEW 42; 28)

3 Marx und Engels verwenden im Manifest der kommunistischen Partei bezeichnender Weise die Vergangenheitsform, um die emanzipatorische Rolle der herrschenden Klasse zu kennzeichnen: „Die Bourgeoisie hat in der Geschichte eine höchst revolutionäre Rolle gespielt.“ (MEW 4; 464, Herv. K.R.) Die umwälzende, fortschrittliche Seite des Kapitals ist keine zeitlose Eigenschaft, die es eben an sich besitzt.

4 Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Harvard_University#Finanzierung.2C_Verm.C3.B6gensverwaltung

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